Amy Edmondson bringt ein hervorragendes Beispiel für einen weniger sichtbaren Aspekt, der lebenswichtig ist. Und zwar wörtlich gesehen.
Das nachstehende Beispiel ist eine Vereinfachung der Präsentation von Edmondson nach einer ihrer Studien aus der medizinischen Versorgung.
Stellen Sie sich vor, Sie sind schwer krank und müssen sich zwischen 3 Krankenhäusern entscheiden, die Ihr Leben retten könnten. Um Ihnen die Wahl zu vereinfachen, erhalten Sie eine Übersicht mit den gemeldeten Fehlern.
- Für das Krankenhaus A wurden 7 Fehler gemeldet
- Für das Krankenhaus B wurden 2 Fehler gemeldet
- Für das Krankenhaus C wurden 24 Fehler gemeldet
Für welches würden Sie sich entscheiden, wenn Ihr Leben auf dem Spiel stünde?
Natürlich werden alle sich für Krankenhaus B entscheiden, denn es sieht so aus, als ob hier alles im Griff wäre. Im Vergleich zu Krankenhaus C ein gewaltiger Unterschied.
Oder?
Wie Sie vielleicht schon vermuten, sieht es in der Realität ganz anders aus. Diese Übersicht sagt nämlich sehr wenig über die Sicherheit in den verschiedenen Krankenhäusern aus, sondern nur darüber, wie groß die Bereitschaft der Mitarbeitenden ist, Fehler und Herausforderungen am Arbeitsplatz zu melden.
Wird die Frage etwas umformuliert, wird diese Erklärung deutlicher.
Würden Sie sich für das Krankenhaus entscheiden, in dem am seltensten Fehler gemeldet werden, oder für das Krankenhaus, in dem am häufigsten Fehler gemeldet werden, wenn Ihr Leben auf dem Spiel stünde?
Im Krankenhaus C wurden Fehler viel häufiger gemeldet als in den anderen Krankenhäusern. Das deutet also auf eine Arbeitskultur und Führungspolitik mit hervorragender psychischer Sicherheit hin. Hier ist Platz für das Ansprechen von Fehlern und Bereichen, die verbessert werden können.
Dies führt dazu, dass Fehler auch viel häufiger behoben, nicht zweckmäßige Prozesse optimiert und die Zusammenarbeit zwischen Kolleg:innen verbessert werden. Letztendlich erhalten auch die Patient:innen eine bessere Behandlung.
Natürlich hat psychische Sicherheit nicht in allen Branchen so einen Einfluss auf Leben oder Tod. Das wäre übertrieben.
Aber ignoriert ein Unternehmen die psychische Sicherheit und das psychosoziale Arbeitsumfeld, riskiert man im besten Falle, dass das Unternehmen sich nicht weiterentwickelt – im schlimmsten Falle erlebt man das langsame Sterben des Unternehmens.